„High Five!“ – Interview mit Prof. Dr. Sven Bienert „ESG in der Immobilienwirtschaft“

Logo: HIGH FIVE; Abbildung: Prof. Dr. Sven Bienert

Ein Thema, ein Experte, fünf Fragen und Antworten. Das ist „HIGH FIVE!“. Wir freuen uns, dass wir für diese Ausgabe Prof. Dr. Sven Bienert gewinnen konnten. Er ist Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft am IRE | BS Institut der Universität Regensburg. Er spricht mit uns über die ESG, Environmental – Social – Governance, in der Immobilienwirtschaft. Das Interview führt Dr. Angelus Bernreuther, Leitung institutionelle Investoren und Immobilienwirtschaft bei Kaufland.

 

Angelus Bernreuther: ESG (Environmental – Social – Governance) ist derzeit ein sehr präsentes Thema in der Immobilienwirtschaft. Wer sind die aktuellen Haupttreiber dahinter, was kommt noch auf die Branche zu?

Prof. Dr. Sven Bienert: Mit der EU-Taxonomie wurde ein Klassifikationssystem geschaffen, welches die ökologische Nachhaltigkeit von Investitionen, Finanzprodukten und Geschäftstätigkeiten klar beschreibt beziehungsweise misst. Am Kapitalmarkt besteht eine hohe Nachfrage nach „Taxonomie-konformen“ Immobilien, die durch das aktuelle Angebot nur unzureichend bedient wird. Infolgedessen werden Bauträger ihre Strategie hin zu nachhaltigen Projektentwicklungen ändern müssen, um den veränderten Marktbedingungen gerecht werden zu können. Obwohl im Moment noch Aufschläge für nachhaltige Objekte gezahlt werden, kann davon ausgegangen werden, dass in Zukunft verstärkt eine gegenteilige Entwicklung eintreten wird: Abschläge für energieineffiziente beziehungsweise nicht ESG-konforme Gebäude sind somit vorprogrammiert. Daneben kommt auf Eigentümer von Gebäuden mit schlechter Energieeffizienz die CO2 Steuer für Wärmeerzeugung hinzu, welche in den kommenden Jahren steigen wird. Weiter wird 2023 eine Novelle des Gebäudeenergiegesetzes GEG kommen. Ein Blick in die Nachbarländer zeigt Folgendes: Frankreich hat ab dem Jahr 2028 ein Vermietungsverbot für die zwei schlechtesten Gebäudeenergieeffizienzklassen bei Wohngebäuden verabschiedet. Die Niederlande verhängen ab 2023 ein Vermietungsverbot für Bürogebäude, welche den zwei schlechtesten Energieklassen zugeordnet werden. Auch die EU plant ein übergreifendes Verbot, welches voraussichtlich mit einem Vorlauf von acht Jahren die zwei schlechtesten Stufen der Energieausweise aus dem Spiel nimmt. Neben dem „E“ wird auch das „S“ und das „G“ zunehmend relevant. Eine Sozialtaxonomie oder strengere Governance-Vorschriften werden aber primär die Unternehmensebene betreffen.

 

Angelus Bernreuther: Einen einheitlichen Branchenstandard für die Messung von Nachhaltigkeit bei Immobilien gibt es derzeit noch nicht. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten ESG-Kennzahlen, die man unbedingt berücksichtigen sollte?

Prof. Dr. Sven Bienert: Ich bleibe beim „E“: Derzeit beschränken sich praktisch alle Regelwerke und Förderungen, wie GEG oder BEG, noch sehr auf die Energieverbräuche in kWh/m² aus Strom- und Wärmeerzeugung oder aber Energieeffizienzklassen. Zentral für einen effektiven Klimaschutz sind jedoch die Treibhausgasausstöße: Es muss somit gemessen werden, wie viel CO2 letztendlich durch den Betrieb oder die Errichtung eines Gebäudes freigesetzt wird. Je mehr wir von Gas, Öl und Kohle wegkommen, desto geringer wird der CO2-Ausstoß für die genutzte Energie. Um auch die weiteren Treibhausgase miteinzubeziehen, sollte auf den übergeordneten Key-Performance-Indikator CO2e (also die sog. CO2-Äqivalente) umgestellt werden, denn neben Strom und Wärme haben gerade bei Gewerbeimmobilien die Kältemittel in Kälteanlagen (sog. F-Gase) einen oftmals unterschätzten Anteil am Treibhauseffekt. Die deutsche LTRS (Langfristige Renovierungsstrategie) zeigt bereits klar in diese Richtung – was erfreulich ist! Zuletzt entstehen auch beim (Um-)Bau von Gebäuden Emissionen, zum Beispiel durch die Herstellung von Baustoffen wie Beton und Stahl oder aber den Transport dieser zur Baustelle. Diese sogenannte graue Energie kann und sollte ebenfalls gemessen und durch geeignete Baustoffe und Recycling reduziert werden. Wir sollten uns davon lösen, dass Investitionen in grüne Energieerzeugung und allgemein Energieeinsparung nur Kosten verursachen und man dafür Förderungen braucht. Wir hätten uns in Deutschland viel erspart, wenn wir im vergangenen Jahr nicht noch mehrere hunderttausend Gasheizungen neu installiert hätten. Objekte, die in Zukunft nicht nur autark sind, sondern eventuell einen Überschuss an Erneuerbaren erzeugen, werden bestenfalls sogar Carbon Credits am Markt verkaufen können. 

 

Angelus Bernreuther: Zertifizierungen für Nachhaltigkeit werden zunehmen. Wohin wird hier die Reise gehen, eher in Richtung Portfolio- oder Einzelimmobilienebene?

Prof. Dr. Sven Bienert: Jedenfalls brauchen wir nicht noch mehr Gebäude-Labels. Die sind wichtig, aber eben auch ausreichend vorhanden. Was wir brauchen sind zertifizierte beziehungsweise von dritter Seite auditierte Daten der jährlichen Nachhaltigkeits-Performance auf Objektebene. Das laufende Benchmarking und die kontinuierliche Optimierung der Objekte müssen klaren Regeln folgen – „Greenwashing“ und Interpretationsspielräume müssen vermieden beziehungsweise geschlossen werden. Natürlich gibt es auch weiterhin die Notwendigkeit der Aggregation von der Objektebene über die Portfolio- und Fondsebene bis zum Unternehmen. Am Fondsmarkt zeichnet sich ab, dass bei Neuauflegungen eine Fonds-Klassifizierung gemäß Artikel acht oder neun der EU-Offenlegungsverordnung angestrebt wird. Diese Klassifizierung setzt einen gewissen Nachhaltigkeitsstandard entsprechend der EU-Taxonomie für das gesamte Portfolio voraus. Die technischen Bewertungskriterien der Taxonomie zielen für Immobilien wiederum auf Einzelobjekte ab. 

 

Angelus Bernreuther: Digitalisierung ist ein weiteres Zukunftsthema. Wie wichtig wird das Datenmanagement für ESG-Zwecke dabei?

Prof. Dr. Sven Bienert: Im aktuellen Marktumfeld reichen rein qualitative Feststellungen und bunte Bilder nicht mehr aus. Key Performance Indikatoren (KPIs) sind notwendig, um den strategischen Kompass auszurichten und die breite Palette an internen und externen Informationserfordernissen zu erfüllen. Hierzu ist es erforderlich, dass das methodische Rüstzeug wissenschaftlich fundiert ist und letztlich die relevanten Kennzahlen kontinuierlich softwarebasiert erhoben werden sowie in die allgemeine Controlling-Landschaft des Unternehmens integriert sind. Digitale und in die sonstige IT-Landschaft eingebettete Lösungen nehmen sprunghaft zu. Marktteilnehmer wie Deepki, Measurable oder Buildingsminds haben hohe Beträge für die Weiterentwicklung ihrer Produkte bzw. Lösungen eingesammelt und geben mächtig Gas. Selbstgestrickte In-house-Lösungen oder xls-Sheets kommen da kaum noch mit.

 

Angelus Bernreuther: Die Ausbildung der jungen Generation von Immobilien-Fachleuten ist Ihre Kernaufgabe. Welche Rolle spielen hier ESG-Themen in Zukunft?

Prof. Dr. Sven Bienert: „Sustainable Real Estate“ ist als Kurs schon seit Jahren Pflicht für alle Masterstudierenden an der IREBS. Das Interesse der Studierenden für darüber hinausgehende Lehrveranstaltungen und Weiterbildungsmöglichkeiten ist enorm. Eine Verzahnung der üblichen Lehrinhalte wie Projektentwicklung, Management oder Finanzierung mit ESG-Aspekten ist wiederum ausschlaggebend. Denn Nachhaltigkeit ist in allen Lebenszyklusphasen und auf Unternehmensebene vertreten und sollte jeweils integriert betrachtet werden.